Die neue Medizinprodukteverordnung ist seit 26. Mai 2021 eingesetzt. Bereits vor einem Jahr habe ich in meinem Blogbeitrag “Sind sie bereit für die MDR 2017/745 Einführung per Mai 2021?” darauf hingewiesen, worauf die Gesundheitseinrichtungen im Vorfeld der Einführung achten müssen. Nun sind erste konkrete Herausforderungen bei der Anwendung aufgetaucht:
- Sind die Produkte im Artikelstamm der Gesundheitseinrichtungen korrekt hinterlegt, damit die richtigen Lieferanten angeschrieben werden können?
- Sind die Prozesse in der Patientenbehandlung so ausgelegt, dass die Nachvollziehbarkeit der Vigilanz (Vorkommnisse & FSCA) der verwendeten Medizinprodukte gewährleistet ist?
- Kennen wir die Produktstrategien der Softwareanbieter, um die neue Regel 11 (Neueinteilung in Klasse III oder IIb von Software für Entscheidungsfindungen zu therapeutischen oder diagnostischen Zwecken) der MDR Klassifikation zu erfüllen?
Parallel zur Medizinprodukteverordnung wurde auch die neue MDR 2017/745 (Medical Device Regulation) der EU in der Schweiz gültig. Damit haben sich weitere Herausforderungen für die Gesundheitsdienstleister in der Schweiz ergeben. In erster Linie ist das neue Vigilanz Meldeformular der Swissmedic aktiv. Doch was ändert sich noch?
Wichtig ist zu wissen, dass die neuen Medizinprodukteklassifizierungsregeln im 2 Jahresrhythmus eingeführt werden. Per 26. Mai 2021 gelten die neuen Regeln für alle Medizinprodukte der Kategorie III. Per 26. Mai 2023 sind die neuen Regeln für die Kategorien IIa/IIb gültig und 2 Jahre später gelten die neuen Regeln auch für die Kategorie I.
Somit ergibt sich die erste Herausforderung. Sind die Medizinproduktekategorien im Artikelstamm einer Gesundheitseinrichtung gepflegt, damit die korrekten Lieferanten kontaktiert werden können? Kann eine Liste aller verwendeten Artikel pro Medizinproduktekategorie erstellt werden? Wer pflegt die Stammdaten dieser Artikel innerhalb der Gesundheitseinrichtung und beim Bezug der Stammdaten eines zentralen Service (z.B. GHX als Ablösung von Medical Columbus)? Nur so kann sichergestellt werden, dass die korrekten Lieferanten für mögliche Prozessanpassungen in der Logistik kontaktiert werden können.
Auf den Beschaffungsprozess und im Besonderen den Wareneingang einer Gesundheitseinrichtung kommt eine grosse Herausforderung zu. Sie sind in der Regel die ersten, die mit dem Eingang eines Medizinproduktes konfrontiert sind. Die MepV verlangt neue Kontrollen (z.B. ist der Implantationsausweis vorhanden) und die Erhebung neuer Daten (z.B. LOT Nr. und Ablaufdatum), damit die Verwendung in der Patientenbehandlung korrekt erfolgen kann. Dank der Arbeit des Wareneingangs kann die Dokumentation in der klinischen Dokumentation so erfolgen, dass die Nachvollziehbarkeit gewährleistet werden kann.
So weit so gut. Was passiert nun aber mit den Konsignations- oder Durchlaufartikel? Stimmt hier die Abstimmung mit den Lieferanten? Ist auch hier die Durchgängigkeit bis zur Verrechnung gewährleistet? Im Weiteren ist dieser Prozess bei den Medizinprodukten der Klasse III hinsichtlich Stückmenge noch überschaubar. Was passiert aber nach Inkrafttreten der neuen Regel für die Kategorien IIa/IIb am 26. Mai 2023, wo zum Beispiel jede einzelne Schraube oder Platte einen eigenen UDI (Unique Device Identifier) aufweist und darum auch in einer Einzelverpackung geliefert wird?
Eine weitere Herausforderung stellt sich in der Organisation des Informatikbetriebs mit Softwarelösungen, die gemäss Regel 11 der MDR 2017/745 neu ein Medizinprodukt sind.
Regel 11 des Anhangs VIII der MDR 2017/745
Software, die dazu bestimmt ist, Informationen zu liefern, die zu Entscheidungen für diagnostische oder therapeutische Zwecke herangezogen werden, gehört zur Klasse IIa, es sei denn, diese Entscheidungen haben Auswirkungen, die Folgendes verursachen können:
- den Tod oder eine irreversible Verschlechterung des Gesundheitszustands einer Person; in diesem Fall wird sie der Klasse III zugeordnet, oder
- eine schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands einer Person oder einen chirurgischen Eingriff; in diesem Fall wird sie der Klasse IIb zugeordnet.
Software, die für die Kontrolle von physiologischen Prozessen bestimmt ist, gehört zur Klasse IIa, es sei denn, sie ist für die Kontrolle von vitalen physiologischen Parametern bestimmt, wobei die Art der Änderung dieser Parameter zu einer unmittelbaren Gefahr für den Patienten führen könnte; in diesem Fall wird sie der Klasse IIb zugeordnet.
Sämtliche andere Software wird der Klasse I zugeordnet.
Welche Produkte werden in Zukunft als Medizinprodukt zertifiziert und wo erfolgt ein Umbau der Software, damit eine Zertifizierung umgangen werden kann? Wo werden eventuell Softwareprodukte vom Markt genommen, da der Aufwand für eine Zertifizierung die Ressourcen des Lieferanten übersteigen würden? Wo ist die Produktarchitektur derart mit Altlasten versehen, dass eine Zertifizierung gar nicht möglich ist? Wie kann so ein gesicherter Betrieb als Informatikabteilung gewährleistet werden? Wie verhalte ich mich als Informatikabteilung, wenn der Lieferant sich der Zertifizierung verweigert und sich daraus eine Produkthaftung für mich als Betreiber ableitet?
Die Herausforderungen sind nicht zu unterschätzen und wir empfehlen den Gesundheitseinrichtungen, die damit einhergehenden Risiken intern rasch zu adressieren, die notwendigen Abklärungen zu starten und die Prozesse entsprechend auszurichten.