Kaum jemand würde die öffentliche Verwaltung im Bereich Digitalisierung als First Mover bezeichnen. Und unbestritten gehen hier viele Vorhaben eher schleppend voran, während hohe Kosten anfallen. Nicht zuletzt da Gärtchendenken, Föderalismus, fehlende Kundensicht oder starre Hierarchien die Digitalisierungsbemühungen in der öffentlichen Verwaltung prägen.
Meine Erfahrung aus zahlreichen Projekten zeigt, dass jedoch nicht ganz alle Probleme hausgemacht sind, sondern Verwaltungen mit diversen branchenspezifischen Hürden konfrontiert sind. Beim Versuch einer differenzierten Betrachtung bin ich auf sieben konkreten Themen gestossen, welche verschiedene Herausforderungen bergen.
Bewusst möchte ich mich im Folgenden auf diese Herausforderungen und weniger auf die Lösungsansätze konzentrieren. Selbstverständlich ist mir klar, dass es auch in der Verwaltung zahlreiche positive Ausnahmen gibt und sich die Aussagen nicht verallgemeinern lassen.
1. Heterogenität
Verwaltungen sind enorm vielfältig. Von der Wirtschaftsförderung, über das Gesundheitswesen, die Schulen, die Polizei bis hin zur Fischerei- oder Forstwirtschaft kommen zahlreiche Themen zusammen. Dies birgt aus meiner Sicht folgende drei Herausforderungen:
1.1 Fehlende Fokussierung führt zu Flickenteppich
In allen Themen und Bereichen gibt es Digitalisierungspotential. Doch wo soll man ansetzen und starten? Ein gegeneinander abwägen, eine zentrale Priorisierung und damit insbesondere eine Fokussierung ist nicht immer einfach. Zu schnell kommt es so zu einem Flickenteppich an verschiedenen (leider oft unkoordinierten) Vorhaben. Und nicht selten fehlt die langfristige Vision und ein klares, übergreifendes Zukunftsbild.
1.2 Kein Denken als Einheit, dafür Gärtchendenken
Aufgrund eben dieser Heterogenität fehlt häufig ein «Wir»-Gefühl. Man denkt innerhalb der eigenen Organisationsgrenzen, innerhalb der bestehenden Silos und eine übergreifende Zusammenarbeit findet oft nur bedingt und viel zu spät statt.
1.3 Fehlende kritische Masse
Durch diese Vielfalt an Themen fehlt nicht selten die kritische Masse, damit sich Investitionen in die Digitalisierung lohnen – gerade auf Gemeindestufe, oftmals aber auch schon auf Kantonsstufe.
Und damit sind wir auch bereits beim zweiten Hauptthema, welches verschiedene Herausforderungen mit sich bringt, dem Föderalismus.
2. Föderalismus
2.1 Aufwendige Zusammenarbeit
Digitalisierungsprojekte verlangen eine enge Zusammenarbeit der Akteure. Das ist nicht einfach, wenn sowohl vertikal mehreren Ebenen involviert sind (Bund, Kantone, Gemeinden), als auch horizontal die Zuständigkeiten auf eine Vielzahl von Departementen, Ämter, Abteilungen und weitere Akteure verteilt sind.
All diese Akteure haben eigene Vorstellungen, Präferenzen und nicht zuletzt IT-Systeme, was dazu führt, dass Vorhaben lange dauern und teuer werden. Wen wundert es bei dieser herausfordernden Abstimmung, Zusammenarbeit und Koordination innerhalb der Verwaltungseinheiten, dass der Hauptfokus auf den Kunden, die Unternehmen oder die Bürger verloren geht?
2.2 Unbegründet unterschiedliche Prozesse, Systeme, Organisationen, etc.
Aus Sicht des Laien macht jeder Kanton und jede Gemeinde dasselbe und doch machen es alle unterschiedlich. Nötig und sinnvoll ist dies kaum. Aber es ist historisch gewachsen und erschwert und verteuert gemeinsame Digitalisierungsvorhaben. Schade, dass die Offenheit bezüglich Anpassung der eigenen Prozesse oder Organisation oftmals fehlt.
2.3 Hohe Kosten und Investitionen
Digitalisierung kostet oft viel, sehr viel. Ausserdem ist es schwierig (und es wäre oft auch der falsche Weg), einen Return-on-Investment zu rechnen, wenn der Nutzen bei den Kunden, also den Bürgern oder Unternehmen anfällt. Ein Alleingang lässt sich mittelfristig nicht mehr finanzieren, Zusammenarbeit und Einigung auf gemeinsame Standards ist zwingend nötig. Dies auch wenn es initial mehr Aufwand, Zeit und Kosten bedeutet.
3 Organisation
Persönliche und methodische Kompetenzen im Bereich von Führung und Projektmanagement, aber auch bezüglich Kommunikation und Selbstorganisation, sind oft kritische Erfolgsfaktoren der digitalen Transformation. Wenn diese Kompetenzen nicht vorhanden sind, gehen Projekte länger und kosten mehr. Der Presse sind genügend Beispiele dafür zu entnehmen.
3.1 Fehlende digitale Kompetenzen
Nicht nur Verwaltungen, auch anderen Unternehmen und Organisationen fehlen IT-Fachleute oder gute Projektmanager. Diese sind für das Gelingen von Vorhaben jedoch zentral. Auf der anderen Seite fehlt vielen Mitarbeitenden die nötige IT-Affinität, was dazu führt, dass Widerstand entsteht oder Projekte mindestens nicht aktiv unterstützt werden.
3.2 Traditionell, hierarchisch organisiert, wenig veränderungsbereit
Eine agile, unkomplizierte Zusammenarbeit mit Fokus auf das Thema und weniger auf Hierarchien, Abteilungen oder Departemente ist gerade für Digitalisierungsprojekte zentral. Hier haben Verwaltungen aus meiner Sicht noch grossen Handlungsbedarf. Noch zu oft muss bei der Zusammenarbeit der Amtsweg eingehalten werden. Auch was die Bereitschaft in Bezug auf Organisations-, Prozess-, System- oder Verantwortlichkeitsänderungen anbelangt, besteht noch Luft nach oben.
3.3 Wasserfallvorgehen und Submissionsgesetzgebung
Sehr oft werden Projekte in der Verwaltung klassisch nach dem Wasserfallvorgehen abgewickelt. Agile Methoden sind wenig verbreitet und die diesbezügliche Erfahrung fehlt. Digitalisierungsvorhaben sind nicht gleich zu setzen mit IT-Projekten. Sie sind meist viel umfassender, betreffen mehr Bereiche und bedeuten ein vollständiges Umdenken für alle Beteiligten. Agiles Vorgehen ist deshalb aus meiner Sicht bei Vorhaben, die diese Transformation betreffen umso wichtiger.
Aus meiner Sicht erschwert die Submissionsgesetzgebung (mindestens in der bisherigen Form) die digitale Transformation in der Verwaltung zusätzlich. MVP-Ansätze sind nicht einfach umsetzbar. Das Ausschreibungsverfahren schränkt das Denken ein und verhindert tatsächliche Innovationen. Klein starten und dann gemäss den Bedürfnissen der Beteiligten optimieren und den Service ausweiten ist wenig verbreitet.
4 Angebot / Prozesse
Ein Thema, welches nicht nur Verwaltungen haben, das man jedoch eher selber in der Hand hat, als z.B. Föderalismus oder Heterogenität, sind Angebot und Prozesse. Hier möchte ich zwischen den Perspektiven
- Interne Prozesse und
- Prozesse und Angebote für/mit Kunden
unterscheiden.
Bei den internen Prozessen haben viele Verwaltungen in den letzten Jahren einiges optimiert und digitalisiert. Allerdings sieht und spürt man dies von aussen kaum.
Bei den Prozessen und Angeboten mit den Kunden sieht es anders aus. Nutzer möchten auch Verwaltungsgeschäfte zu jeder Tages- und Nachtzeit online erledigen, nicht vor Ort erscheinen oder mühsame Medienbrüche erleben. Heutzutage setzen intuitiv bedienbare Apps den Massstab. Technisch wäre dies problemlos umsetzbar. Folgende drei Herausforderungen erschweren bis verhindern es allerdings:
4.1 Starkes Silodenken
«Customer Journey», also die Betrachtung der gesamten Kundenreise, ist in der Verwaltung noch ein Fremdwort. Einerseits hat dieses Umdenken in den Verwaltungen noch nicht stattgefunden, andererseits sind auch hier entlang des Kundenprozesses zahlreiche Organisationseinheiten beteiligt, die zu sehr nur auf ihren Spickel im Prozess fixiert sind.
4.2 Fehlende Nutzerperspektive
Meine Vorstellung von digitalen Prozessen geht weiter als ein elektronisches Formular, welches am Schluss dann doch gedruckt, unterzeichnet und per Post eingesendet werden muss. Die Verwaltung übersetzt die analogen Prozesse meist eins zu eins in die digitale Welt. Die Nutzerperspektive und -bedürfnisse werden viel zu sehr vernachlässigt.
4.3 Keine freie Kundenwahl
Verwaltungen können ihre Kunden nicht auswählen, die Angebote müssen allen offen stehen. Dies führt teilweise dazu, dass der analoge Prozess ebenfalls noch angeboten werden muss, was Investitionen in die Digitalisierung nicht gleich lohnend erscheinen lässt.
Deshalb ist der Ansatz, auch in die internen Prozesse zu investieren, unerlässlich. Wenn hier klar verlangt wird, dass die Prozesse vollständig digital abgewickelt werden, können die Effizienzgewinne unabhängig davon erzielt werden, welchen Weg die Nutzenden wählen.
5 Rahmenbedingungen
5.1 Gesetze aus der analogen Zeit
Die Schweizer Gesetze sind oftmals noch aus der analogen Zeit. Damals waren unterschriebene (und gestempelte) Dokumente die Norm. Viele dieser Gesetze sind jedoch nicht mehr kompatibel mit dem digitalen Vollzug.
Möchte man ein Gesetz ändern, kommen verschiedene Interessen zusammen, was nicht selten zu zahlreichen Kompromissen und sehr juristischen Texten führt. Ebenfalls ist das gegenseitige Verständnis von Juristen und IT-lern nicht immer gegeben.
Meist wird die Rechtsetzung der eigentlichen inhaltlichen Konzeptentwicklung vorangestellt. Ich frage mich, ob dies in jedem Fall richtig ist und ob nicht zuerst die Zusammenhänge visualisiert, Auswirkungen auf den digitalen Verwaltungsprozess modelliert und Folgekosten abgeschätzt werden müssen, bevor die eigentliche Arbeit am Gesetzestext beginnt.
5.2 Datenschutz als Vorwand?
Die Bevölkerung ist bezüglich Datenschutz und der Verwendung von persönlichen Daten sensibel. Der Datenschutz ist daher ein zentraler Punkt, auch wenn Projekte dadurch teilweise komplexer werden und länger dauern.
Zu oft habe ich allerdings das Gefühl, dass der Datenschutz vorgeschoben wird, um Veränderungen zu verhindern. Gerade in diesem Thema vermisse ich die Lösungsorientierung. Das aktive Gestalten, die Suche nach geeigneten Lösungen, statt das Verhindern oder frühzeitiges Abblocken müssten im Zentrum stehen.
5.3 Digitale Signatur und E-ID
Die digitale Signatur ist leider noch immer viel zu wenig verbreitet und doch oftmals Voraussetzung für vollständig elektronische Prozesse.
Genauso haben wir auch immer noch keine E-ID, die einige erleichtern würde. Allerdings darf diese auch nicht als Allerheilmittel angeschaut werden.
Abschliessend kann gesagt werden, dass nicht alle Herausforderungen nur verwaltungsspezifisch und hausgemacht sind. Einige davon kommen in grosse Organisationen oder Firmen genauso vor. Und doch haben Verwaltungen durch den Föderalismus, die Heterogenität, die fehlende Wahlfreiheit wer Kunde sein soll, die Submissionsgesetzgebung, etc. in gewissen Bereichen etwas andere Voraussetzungen. Ich bin jedoch sicher, dass es für alle Herausforderungen Lösungsansätze gibt und spüre bereits jetzt ein sukzessives Umdenken in der öffentlichen Verwaltung. Das stimmt mich zuversichtlich, dass wir auch hier bald einen Schritt vorwärtskommen.